In Steglitz steht die Wiege der „Wandervögel“
Wandern ist immer noch ein deutscher Volkssport
Im Steglitzer Stadtpark (zwischen Sedan- und Klingsorstraße)
steht ein wenig versteckt unter hohen Bäumen ein Findling zu Ehren der Gründung
der Wandervögel 1901.
Es waren hauptsächlich Schüler vom Gymnasium Steglitz und
Studenten, unter Anführung von Karl Fischer, die eine Bewegung ins Leben
riefen, um der fortschreitenden Industrialisierung in den Städten
entgegenzuwirken.
Die „Wandervögel“ waren geboren. Sie gaben sich ihren Namen,
nachdem ein Gründungsmitglied auf einem Grabstein einen Text entdeckte:
"Wer hat euch Wandervögeln / die Wissenschaft geschenkt / dass ihr auf
Land und Meeren / die Flügel sicher lenkt...". Mit Klampfe (Gitarre),
Wanderschuhen, Mütze und Rucksack ging es in die nächstliegende Natur.
Es war der Beginn einer Jugendbewegung, die auch für
Reformpädagogik und Freikörperkultur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
wichtige Impulse setzte. Die Idee, in der Freizeit gemeinsam "auf
Fahrt" zu gehen, fand rasch auch über Steglitz hinaus Verbreitung, und der
"Wandervogel" gab einer ganzen Jugendbewegung ihren Namen.
Schon wenige Jahre später hatten sich im Deutschen Reich
verschiedene Wandervogel-Bünde gebildet, die sich 1913 zum Wandervogel e.V. mit
25.000 Mitgliedern zusammenschlossen. Mit dem Anwachsen der Bewegung kam es
aber auch oft zu abweichenden Leitvorstellungen und Schwerpunkten, die zu
vielfältigen Abspaltungen und Neugründungen führten. Umstritten waren Fragen
der Mädchenbeteiligung und der Alkohol- und Nikotinabstinenz, über das Outfit
und darüber, ob Jungen und Mädchen vereint oder getrennt wandern sollten. Es
gab sogar Versuche, in den eigenen Reihen die Homosexualität erfahrbar zu
machen, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts geächtetes und strafwürdiges
Unterfangen. Gegenüber politischem Einfluss und Vereinnahmung versuchten die
Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren.
Der Erste Weltkrieg schuf neue Verhältnisse für die
Jugendbewegung. Tausende junge Menschen mussten in den Krieg ziehen.
Ein entscheidender Einschnitt war die nationalsozialistische
Auflösung bzw. Zwangseingliederung der Jugendbünde in die Hitlerjugend.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten
Nachfolgeorganisationen tragen das Erbe weiter. Unabhängig von den
Wandervogelbündnissen ist das Wandern immer noch ein deutscher Volkssport.
Viele Vereine sind im „Verband deutscher Gebirgs- und Wandervereine"
zusammengeschlossen, der heute etwa 600.000 Mitglieder umfasst und viele
Menschen in Bewegung hält. Text und Foto: Klaus Tolkmitt
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