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Freitag, 3. Januar 2020

Der Weinbrunnen auf dem Rüdesheimer Platz

Winzerfest mit "Vater Rhein"

Groß und mächtig thront „Siegfried der Rosslenker“ über dem Rüdesheimer Platz. Er gehört zur gewaltigen Brunnenanlage, die die gepflegte Grünanlage dominiert.
Der Rüdesheimer Platz, inzwischen ein Gartendenkmal, liegt im Berliner Ortsteil Wilmersdorf und stellt das Zentrum des Rheingauviertels dar. Darum sind die Straßen rund um den Platz auch nach Städten und Orten aus dem Rheingau-Taunus-Kreis im Land Hessen benannt
Die 1911 entworfene neubarocke Brunnenanlage wird in ihrer Mitte von Siegfried, dem Rosslenker überragt. Flankiert wird er von einer Weinkönigin, oft auch als allegorische Figur der Mosel bezeichnet und einer männlichen Skulptur – auch als Vater Rhein beschrieben. Die Wohnsiedlung gilt als vorbildliche Frühform aufgelockerter Bauweise im Grünen. So prägen die um 1910 im englischen Landhausstil errichteten Wohnhäuser den gesamten Stadtplatz durch ihre Fassaden, Giebel und auch die Vorgärten. Die Grünanlage liegt etwas tiefer und ist durch den alten Baumbestand und die Blumenrabatten eine kleine Oase inmitten der Großstadt.
Was liegt da näher, schon seit 1967 alljährlich hier unter den ehrwürdigen dicken Plantanen und Buchen in aufgelockerter Atmosphäre das beliebte Winzerfest zu feiern. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt
Mehr Informationen über den Rüdesheimer Platz: https://www.ruedi-net.net/




 

Sonntag, 29. Dezember 2019

Berlin war von Seuchen und Epidemien geplagt

Mit den Desinfektionsanstalten kam die Hygiene in die Stadt

Ein alter Schriftzug am Haus 39 in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg erinnert an eine Zeit zum Ende des 19. Jahrhunderts, als es mit der Hygiene in der Stadt noch nicht zum Besten bestellt war. Die Menschen erkrankten an Typhus, Cholera, Pocken oder Diphtherie. Der Wiener Arzt Ignaz Semmelweis wies erstmals 1840 auf die Bedeutung der Hygiene hin und auch in Deutschland wurde das Bewusstsein für Sauberkeit von Max von Pettenkofer vertieft. So entstanden zu Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Desinfektionsanstalten.
Die Anstalt in der Ohlauer Straße ist Deutschlands älteste Desinfektionsanstalt. Man begann erst mit der Desinfektion von Kleidern, Matratzen und Bettwäsche von Kranken, dann mit dem medizinischen Besteck, später wurde (wenn notwendig) auch der gesamte Hausrat mit heißer Dampfluft behandelt, um Keime abzutöten und Krankheiten einzudämmen. Die Anlage wurde fortwährend baulich verändert und erweitert. 1925 richtete man eine Gaskammer zur Ungeziefervernichtung ein. Leider gab es für die Arbeiter gravierende Nebenwirkungen. Sie litten unter den giftigen Dämpfen und unter einem Chlor-Kalk-Gemisch. Immerhin waren 1908 113 Desinfektoren in der Anstalt, die sich bis zur Reichenberger Straße ausgedehnt hatte, beschäftigt. Im Ersten Weltkrieg reduzierte sich das Personal um etwa die Hälfte. Die verbliebenen Arbeitskräfte hatten viel zu tun.
Mit dem Krieg kamen die Pocken, die Ruhr, die Krätze und eine schwere Grippewelle, die 1918 dazu führte, dass über 300 Berliner Schulen schließen mussten. Nach dem Krieg wuchs die Armut und somit auch wieder die Gefahr von Epidemien. Zwischen 1923 und 1927 stieg die Zahl der Desinfektionen sprunghaft an. 29000 Todes- bzw. Krankheitsfälle wurden in der Stadt registriert und über 39000 Desinfektionen durchgeführt. Nicht verschweigen sollte man aber auch, dass in der damaligen Zeit heftig über Erfolg und Notwendigkeit einer Desinfektion diskutiert wurde. Letztendlich blieb die Bedeutung der Desinfektionsanstalt für die Volksgesundheit unbestritten.
Den 2. Weltkrieg überstand das Haus unbeschadet und stand noch einmal im Mittelpunkt, als sich im Sommer 1945 Ruhr und Typhus in den zerstörten Stadtteilen ausbreitete. Kriegsheimkehrer und Vertriebene importierten über dreißig registrierte ansteckende Krankheiten. Ende der vierziger Jahre kehrte langsam Ruhe ein. Lediglich 1961, als die DDR eine Desinfizierung der Geschenksendungen in die Demokratische Republik verlangte, hatten die Männer in Kreuzberg einige Hände voll zu tun. 1987, hundert Jahre nach der Einweihung der ersten Berliner Desinfektionsanstalt, wurde die Anlage in der Reichenberger Straße/Ohlauer Straße aufgegeben. Heute lernen und spielen hier Kinder. Von der ursprünglichen Bebauung blieben wesentliche Teile erhalten. Geformte Ornamentfriese und zinnenartige Dachabschlüsse beleben das Fassadenbild. Auch der Schornstein der Dampfanlage blieb erhalten und mahnt wie ein überdimensionaler Zeigefinger Sauberkeit und Ordnung an. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Das Baumhaus aus dem Niemannsland

Familiengeschichte wird Touristenattraktion

Am ehemaligen Grenzstreifen zwischen Berlin-Mitte und Kreuzberg steht am Bethaniendamm ein Baumhaus, das schon internationale Beachtung gefunden hat. Es ist eigentlich nicht besonders schön oder spektakulär, hat aber eine 40jährige Geschichte, die so typisch für Berlin ist.
Das kleine Eckgrundstück (eine ehemalige Verkehrsinsel) an der Mauer führte eher ein Elendsdasein. Die Mauer verlief hier ein wenig versetzt und so gehörte der Grund und Boden zu Ost-Berlin, war aber nur von der Westseite zugänglich. Das rund 350 Quadratmeter große Grundstück drohte zu vermüllen, weil sich niemand zuständig fühlte. Osman Kalin, der 1963 mit seiner Familie von der mittelanatolischen Stadt Yozgat nach Deutschland immigrierte, machte sich diesen Zustand zu eigen und begann das Stück Land zu bewirtschaften. Er machte den Boden urbar, baute Gemüse an und baute aus Sperrmüll und Baumaterialien sein „Baumhaus“.


Nachdem die Mauer gefallen war, fühlte sich erstmal keiner für den „Grenzstreifen“ zuständig und so verbrachte die Familie Kalin weiterhin ihre Freizeit in ihrem Garten auf der Verkehrsinsel. Allerdings änderte sich schlagartig die Ruhe in der Straße, nachdem das „Baumhaus“ von der Mauer durch die Presse ging und international bekanntgeworden war. Berliner und Touristen pilgerten zum ehemaligen Grenzstreifen, um diese besondere Attraktion in Kreuzberg zu bestaunen.

Inzwischen soll die Familie das Grundstück erworben haben und plant ein privates Museum. Mehmet Kalim, der Sohn des inzwischen verstorbenen Osman Kalim, kann sich gut vorstellen, als Museumsleiter interessierte Besucher durch das Haus und durch den Garten zu führen. Doch nun kommen die Ämter ins Spiel, die da ein Wort mitreden wollen, weil das Haus nie behördlich abgenommen wurde und auch keine Statik nachweisen kann, wie stabil das Bauwerk noch ist. Stimmen werden laut, die das Haus unter Denkmalschutz stellen wollen. Die Stiftung Berliner Mauer soll es in ihren Bestand als weiteres Mahnmal aufnehmen. Mehmet Kalin will das Grundstück auf keinen Fall an Spekulanten verkaufen, denn dann bekäme er Probleme mit seinen Kreuzberger Nachbarn. So wird, bis eine Lösung für die Touristenattraktion gefunden ist, der Sohn des anatolischen Gastarbeiters weiterhin zwischen Zwiebeln und Knoblauch allen Besuchern aus nah und fern seine „Familiengeschichte“ zum Baumhaus erzählen. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt

Montag, 4. November 2019

Am Alex dreht sich alles um die Zeit

Die Weltzeituhr 

Gleichmaßen beliebt als Treffpunkt ist bei Berlinern und Touristen die Weltzeituhr am Alexanderplatz. Die 10 Meter hohe und 16 Tonnen schwere Uhr wurde 1969 im Zuge der sozialistischen Neugestaltung des Alexanderplatzes und vorab zum 20. Jahrestag der DDR aufgestellt. 
Auf einer Säule dreht sich ein mit geätzten Aluminiumplatten verkleideter, farbig emaillierter Zylinder, der in 24 Segmenten verschiedene Länder der Erde schematisch geografisch darstellt und die Uhrzeiten wichtiger Städte anzeigt. Die über dem Zylinder auf rotierenden Metallkreisen angebrachten Kugeln symbolisieren die Planeten auf ihren Bahnen. Der Boden unterhalb der Stahlkonstruktion wurde mit einem Mosaik in Form einer Windrose gestaltet.
Entworfen wurde die Weltzeituhr von dem Industriedesigner Erich John. John leitete auch die neunmonatigen Bauarbeiten. Der Bau der Weltzeituhr war eine Teamarbeit von etwa 120 Fachleuten verschiedenster Gewerke, darunter die Getriebefabrik Coswig und bauausführend vor Ort durch den Kunstschmied und Metallbildhauer Hans-Joachim Kunsch. Foto: Klaus Tolkmitt

Dienstag, 29. Oktober 2019

Mit der Pferdetram durch die Reichenberger


Straßenpflaster wird zum Kunstobjekt

Mit ihren zwei Kilometern zählt die Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg zu den längsten Straßen im Bezirk. Sie galt einst als typische Berliner Straße, ein Boulevard mit breiten Bürgersteigen, einem Theater und Straßencafés und kleinen Hinterhofwohnungen. Davon ist heute nur noch wenig zu sehen, obwohl inzwischen wieder ein Wandel eintritt, um das Image einer schmuddeligen Straße loszuwerden. Da die Reichenberger den Krieg einigermaßen schadlos überstand, flaniert man an zahlreichen historischen Häusern vorbei, die zum Teil auch schon wieder einen frischen Anstrich bekommen haben.

Um noch mehr über die Straße zu erfahren, muss man den
Kopf senken und auf das Pflaster der Gehwege schauen. Zwischen Manteuffelstraße und Ohlauer Straße lassen sich Zeugen der Vergangenheit wiederfinden. Eingelassene Schienenstränge, Hufeisen, Werkzeuge und Mosaiken erzählen aus der Zeit, als noch die Pferde-Tram durch die Straße fuhr. 1896 fuhr die „Große Berliner Pferdeeisenbahn“ auf der Strecke von der Lindenstraße zur Glogauer Straße durch die Reichenberger Straße. Die Pferdeeisenbahn besaß in der Manteuffelstraße ein Depot mit Remisen und Pferdeställen.


Die eingearbeiteten Werkzeuge im Straßenpflaster gehören zu einem Kunstprojekt, das nach der Wende von verschiedenen Künstlern ins Leben gerufen wurde. So entstanden Straßenbilder, wie die schwarz-weiße Tastatur eines Klaviers, um auf die ehemalige Klavierfabrik von Carl Bechstein hinzuweisen, oder die Friedenstaube des St. Marien-Krankenhauses. Das Mosaik „Brot, Käse, Butter, Milch“ erinnert an Bäcker, Metzger und Milchläden, die einst für den Lebensunterhalt der Bewohner in der Straße sorgten.

Der Wandel, weg vom schmuddeligen Image, soll die Straße, aber auch den Kiez verändern. Neue Cafés, Restaurants und Biomärkte sollen dafür sorgen, dass vielleicht doch noch ein echter Boulevard zum Schlendern und Einkaufen entsteht. Die Touristen, die vermehrt in die Reichenberger kommen, hoffen dagegen, hier noch eine typische Berliner Straße zu erleben. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt
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