Berlin hat mehr Brücken als Venedig
Berlin kann mit Recht behaupten, mehr Brücken zu haben als
Venedig. Doch wieviel es tatsächlich sind, weiß niemand so ganz genau. Während
einige Statistiker von 2.000 Brücken (vermutlich mit Bahn und S-Bahn-Brücken)
sprechen, sagen andere, dass es wahrscheinlich knapp 1.000 Übergänge sind, die
uns trockenen Fußes von einem zum anderen Ufer bringen.
Wir haben in Teil 1 unsere Tour am S-Bahnhof Bellevue
begonnen und sind jetzt über mehrere Stationen am Bundeskanzleramt vorbei an
der Moltkebrücke angekommen.
Hier beginnen wir den 4. Teil der Brückentour durch Berlin.
Die Moltkebrücke wurde zwischen 1886 und 1891 errichtet und
mit rotem Sandstein verblendet. Sie ist mit reichem Bild- und Skulpturenschmuck
versehen und nach Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke benannt. Die Brücke
wurde während des Zweiten Weltkrieges stark zerstört und von 1983 bis 1986
wieder aufgebaut und restauriert. Mit dem Bild- und Skulpturenschmuck wurden
die militärischen Leistungen von Moltke gewürdigt. Auf beiden Seiten der Brücke
befinden sich Porträts von Moltke sowie von Leberecht von Blücher und Georg von
Derfflinger sowie die Köpfe von Caesar und Athene.
Wenn wir auf der Brücke stehen und links Richtung
Hauptbahnhof schauen, fällt ein schwarzer „Würfel“ ins Blickfeld. Der Cube
Berlin (Eigenschreibweise) wurde erst im Februar 2020 eingeweiht und gilt als
Europas schlauestes Gebäude.
Die vollflächig mit Falten und Knicken gestaltete Fassade
spiegelt die Umgebung wie ein Kaleidoskop und macht das Bauwerk zu einem echten
"Hingucker".
Das auffällige zehngeschossige Büro-Gebäude mit einer
Breite, Höhe und Länge von jeweils 42,5 Metern ist gekennzeichnet durch eine
nach innen gefaltete Glasfassade. Das Innere des Cubes ist mit modernster
Technik ausgestattet, dazu gehören eine Mobile App-Steuerung zur Öffnung der
Tiefgaragenschranke, danach zur Öffnung des Foyers. Über die gleiche Technik
können auch Personen im Haus gefunden werden, und der Fahrstuhl hält
automatisch in der Etage, auf der der Nutzer sein Büro hat
Darüber hinaus wird die bei der Sonneneinstrahlung
entstehende Energie zur Kühlung der zugeführten Frischluft eingesetzt.
Beschichtete Fensterscheiben verringern das Aufheizen des Inneren. Der Bau ist
ressourcenschonend und energieeffizient ausgelegt.
Wir bleiben auf der linken Spreeseite und stehen ca. 200
Meter weiter vor der Gustav-Heinemann-Brücke, die als Fußgängerbrücke den
Spreebogenpark mit dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof verbindet. Unter
dem Fußgängersteg und unter der Spree verläuft der Tiergartentunnel mit der
Bundesstraße 96.
Ihren Namen erhielt das Bauwerk zu Ehren des früheren
Bundespräsidenten Gustav Heinemann.
Wir überqueren die Brücke und genießen am Ende den Blick
über die Spree und das Ludwig-Erhard-Ufer. Hier entspannen sich vorwiegend im
Sommer gern Touristen und Berliner mit einem kühlen Getränk in der Hand im
Liegestuhl und genießen das Treiben am Ufer.
Wir biegen von der Brücke kommend links auf das
Ludwig-Erhard-Ufer, ab. (oberer Weg). 100 Meter weiter haben wir einen schönen
Blick auf die moderne Kronprinzenbrücke, die hier die Spree überspannt.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Kronprinzenbrücke
schwer beschädigt und nach 1945 provisorisch wieder instandgesetzt. Mit dem Bau
der Berliner Mauer im Jahr 1961 wurde die Brücke gesperrt und verlor ihre
Bedeutung als Verkehrsbauwerk, da die Spree hier Sektorengrenze war. 1972
folgte der Abriss des Brückenüberbaus.
Nach einem internationalen Wettbewerb 1991 wurde der
Wiederaufbau der Kronprinzenbrücke ausgelobt. Es war der erste Brückenneubau
nach der politischen Wende über die ehemalige Sektorengrenze.
An der Stelle, wo sich der Weg teilt und leicht rechts auf
steinernen Platten nach unten führt, steht eine Informationstafel am Rande des
Spreebogenparks, die uns interessiert.
So erfahren wir, dass es in Berlin rund 320 Wildbienenarten
gibt, von denen die meisten bedroht sind und dringend geschützt werden müssen. Darum
werden vermehrt artgerechte Blumenwiesen mit Totholzzonen und Wildstauden angelegt.
Seit 2018 führen die Deutsche Wildtier Stiftung und die Berliner
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Maßnahmen zur ökologischen
Aufwertung öffentlicher Grünflächen durch. Davon sollen ganz besonders
Wildbienen profitieren.
Wir gehen an der Bienenwiese weiter nach unten und folgen
dem breiten Uferweg einige Meter weiter bis zum Paul-Löbe-Haus.
Das Haus gehört zum Deutschen Bundestag und ist nach dem
Reichstagspräsidenten und Alterspräsidenten des ersten Deutschen Bundestags,
Paul Löbe (SPD), benannt.
Das Gebäude enthält Räume und Büros für 275 Abgeordnete, 21
Sitzungssäle für die Ausschüsse und etwa 450 Büros der Ausschuss-Sekretariate.
Gegenüber, auf der anderen Spreeseite, befindet sich das
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit dem Großen Anhörungssaal, der vor allem durch
Untersuchungsausschüsse genutzt wird. Nach dem Plenarsaal im Reichstagsgebäude
besitzt das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus den zweitgrößten Saal des Deutschen
Bundestags.
Verbunden sind die beiden Gebäude durch eine Fußgängerbrücke,
die der Architekt beider Häuser als „Sprung über die Spree“ bezeichnet.
Wir „springen“ dann auch mal auf die andere Spreeseite.
Über der Brücke ist noch ein „Laufsteg“, der jedoch nur für
die Mitarbeiter des Bundestages zugänglich ist. Darum heißt diese Brücke im
Bundestagsjargon „höhere Beamtenlaufbahn“.
Am anderen Ufer sehen wir links ein kleines Wäldchen, dass
mit einem Zaun abgegrenzt ist. Es ist das Parlament der Bäume, ein Gedenkort,
den Aktionskünstler Ben Wagin eingerichtet hat, um an die Todesopfer der
Berliner Mauer zu erinnern. Die Begehung des Areals ist leider nur nach
vorheriger Anmeldung möglich.
Also „springen“ wir wieder zurück auf die rechte Spreeseite.
Vorbei an der Kantine (öffentlich zugänglich) des
Paul-Löbe-Hauses kommen wir nach ca. 100 Metern zu den weißen Kreuzen am
Uferrand.
Auf den Kreuzen stehen die Namen von 13 Todesopfern der
Mauer. Ein Kreuz ist „Den unbekannten Opfern an der Mauer“ gewidmet. Unter den
ausgewählten Namen sind das erste Opfer durch Schusswaffengebrauch Günter
Litfin und der letzte durch Schusswaffen getötete Flüchtling. 11 der 13 Opfer
starben zwischen 1961 und 1965.
Die weißen Kreuze im Rücken fällt uns 50 Meter gegenüber am
Reichstagsgebäude eine kleine Backsteinmauer auf. Es ist ein Mauerstück der
Danziger Werft, die uns an die Gründung der polnischen Gewerkschaftsbewegung
„Solidarność” (dt. Solidarität) erinnert, die mit ihrem Kampf für demokratische
Rechte einen entscheidenden Beitrag zum Ende der Teilung Europas leistete.
Wir bleiben am Ufer und haben wenige Meter vor uns die
Marschallbrücke.
1820 wurde sie zu einer verkehrstüchtigen fünffeldrigen
Brücke umgebaut. Sie erhielt zu dieser Zeit ihren heutigen Namen
Marschallbrücke, in Erinnerung an Feldmarschall Blücher.
Wir bleiben am Reichstagsufer und stehen rechts vor dem
ARD-Hauptstadtstudio. Im Foyer erfahren wir, dass man auch eine Führung durch
das Haus buchen kann.
An diesem Standort befand sich bis 1945 das Physikalische
Institut der Berliner Universität. Es war die Wirkungsstätte bedeutender
Physiker und Nobelpreisträger.
Knapp 500 Meter weiter befinden wir uns hinter der
Bahnbrücke des Bahnhofs Friedrichstraße vor einem kleinen, viereckigen Gebäude,
das den Charme der DDR-Architektur nicht verleugnen kann. Der
"Tränenpalast" erinnert an die Teilung Deutschlands und ganz besonders
Berlins. Der Zugang ist kostenfrei.
Die Abfertigungshalle diente der SED-Diktatur bis 1990 für
die Ausreise aus der DDR nach West-Berlin. Als Ort schmerzvoller Trennungen
hieß der Pavillon aus Stahl und Glas im Berliner Volksmund bald
"Tränenpalast".
Die Ausstellung im Inneren informiert anschaulich, wie es
bei den Ein- und Ausreisekontrollen zwischen Ost- und West-Berlin zuging.
Abschied, Hoffnung und Verzweiflung, Freude
und Angst, spielten sich dort täglich zwischen den Menschen ab, die die Grenze
überschritten. Text und Foto: Klaus Tolkmitt
Die vollständige Tour gibt es auch hier: Berliner Brückentour mit lialo