Im Gutshaus Mahlsdorf werden Gründerzeitjahre wieder „lebendig“
Als Lothar Berfelde in Mahlsdorf geboren und von Freunden liebevoll
„Lottchen“ genannt, weil er sich für Mädchenkleider und Männer
interessierte, wurde aus einem jungen Mann die zarte „Charlotte von
Mahlsdorf“. Zu Zeiten der DDR lebte Charlotte am Rande der der Gesellschaft und wurde nach der Wende als Trödlerin stadtbekannt. Sie begann Haushaltsgegenstände zu sammeln und rettete aus
zerbombten Häusern historische Alltagsgegenstände. Aus der
Sammelleidenschaft entstand 1959/60 das „Gründerzeitmuseum“ in dem vom
Abriss bedrohten Gutshaus Mahlsdorf. Sie setzte sich für den Erhalt des
Gutshauses ein und erhielt das komplette Gebäude mietfrei überlassen.
Dort
eröffnete sie 1960 ihr Museum mit Möbeln und Gegenständen aus der
Gründerzeit. Die Gründerzeit zwischen 1871 und 1914 fällt in jene
Epoche, in welcher das Bürgertum in Mitteleuropa die kulturelle Führung
übernahm.
Nach mehreren Sanierungen des Gebäudes und der Instandsetzung der
Parkanlage am Gutshof, hat sich das Gründerzeitmuseum mit seiner
beindruckenden Sammlung inzwischen zu einer gefragten Adresse für
historisch interessierte Liebhaber entwickelt. Das Museum war und ist
ein Geheimtipp unter Museumsfreunden. Es besitzt nach wie vor eine
einzigartige Aura, von der sich neben der Schwulen- und Lesbenszene, die
unterschiedlichsten Menschen angezogen fühlen.
Seit dem Tod von Charlotte von Mahlsdorf kümmert sich der Förderverein
„Gutshaus Mahlsdorf“ um das Erbe. Mittwochs und sonntags ist das Museum
geöffnet und die Besucher können eintauchen in eine andere Welt. Sie
werden dabei von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Förderverein informativ
durch das Haus geführt.
Die
Räume sind ausgestattet mit Möbeln und Hausrat des Bürgertums aus der
Zeit von 1880 bis 1900. Der große Gartensaal mit Freitreppe zum Park ist
als „gutes Zimmer“ möbliert. Hohe Spiegel und Kronleuchter machen den
Raum zum Festsaal. Hier werden inzwischen auch standesamtliche Trauungen
abgehalten. Im repräsentativen „Herrenzimmer“ und im neogotischen
Speisezimmer stehen Möbel aus massiven Nussbaum und im roten
„Damensalon“ kann man erahnen wie sich das damalige Leben mit
Plüschsofas abgespielt hat.
In den Gründerjahren wurden aber auch technische Errungenschaften
entwickelt, die Charlotte von Mahlsdorf inspiriert haben. So rettete sie
aus dieser Zeit „Musikmaschinen“ die bereits für den Sperrmüll
vorgesehen waren, Grammophone mit Schellackplatten,
Tanzsaal-Orchestrione sowie Phonographen und Spieldosen, die alle noch
funktionsfähig sind und zur Freude der Besucher krächzende Musik
wiedergeben.
Eine
museale Kostbarkeit ist die vollständig erhaltene Lokaleinrichtung der
„Mulackritze“, der letzten Zillekneipe Berlins aus der Mulackstraße im
Scheunenviertel. Die Ausstattung mit Theke und „Hungerturm“ von 1890
sowie den Werbe- und Verbotsschildern an den Wänden dokumentiert ebenso
wie die „Hurenstube“ ein Stück Berliner „Milljöh“.
Charlotte von Mahlsdorf starb am 30.April 2002 an einem Herzinfarkt.
Sie wurde auf dem Evangelischen Waldfriedhof an der Rahnsdorfer Straße
in Berlin-Mahlsdorf direkt neben ihrer Mutter Gretchen Berfelde
beigesetzt. Einen besonderen Hinweis auf das berühmte Grab gibt es
nicht. Es liegt etwas versteckt hinter der Kapelle auf dem Friedhof.
Text und Fotos: Klaus Tolkmitt.
Quelle: Gründerzeitmuseum,
Info: Das Gründerzeitmuseum im Gutshaus Mahlsdorf befindet sich am Hultschiner Damm 333, in 12623 Berlin-Mahlsdorf.
Gründerzeitmuseum
Öffnungszeiten: Mittwoch und Sonntag 10 bis 18 Uhr. Zu erreichen mit
dem Auto über die B1 und B5 oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis
zum S-Bahnhof Mahlsdorf und von dort mit der Tram 62 Richtung
Wendenschlösschen bis zur Haltestelle Alt-Mahlsdorf.